Tradition verbindet – zeitlich und räumlich. Unser neuer „Brückenschlag“ erzählt denkwürdige Fußballgeschichte(n) rund um die Lila-Weißen und ihre Gegner. Teil 1 berichtet von einer außergewöhnlichen Saison des SV Darmstadt 98.
Vor 41 Jahren ging für die „Lilien“ ein langgehegter Traum in Erfüllung. Unter Cheftrainer Lothar Buchmann gelang ihnen erstmals der Aufstieg in die Fußball-Bundesliga. Heute ein Grund, den erlernten Beruf an den Nagel zu hängen. Doch die Darmstädter gingen weiter zur Arbeit.
Lehrer, Versicherungsangestellte und Metzger waren da in die Bundesliga aufgestiegen – und durchaus nicht bereit, ihre bürgerliche Existenz aufzugeben. So gingen die „Lilien“ tagsüber ihrem jeweiligen Broterwerb nach, ehe Lothar Buchmann gegen 15.30 Uhr zum Training bat. Vier Einheiten pro Woche waren die Regel, länger hatte der Coach seine Schützlinge nur, wenn alle zusammen Urlaub bekamen.
Die 17 Konkurrenten beschäftigten ausschließlich Vollprofis, bekamen gegen die Feierabendfußballer aber trotzdem einige Probleme. So auch der große FC Bayern München, der sich im eigenen Stadion mit einem 1:1 begnügen musste. Uwe Hahn, der bei einem Pharmaunternehmen beschäftigt war, egalisierte den Führungstreffer von Paul Breitner in der 89. Minute und erzielte bei der Gelegenheit auch noch das Tor des Monats November.
Der erste Sieg gelang den Darmstädtern allerdings erst am 8. Spieltag (3:2 gegen Dortmund). Außerdem gewannen die Feierabendfußballer in dieser Saison gegen Mönchengladbach (2:0), Bochum (3:1), Duisburg (2:0), Frankfurt (2:0), Bremen (3:0) und noch einmal Bochum (2:1).
Das war zu wenig für den Klassenerhalt. Nach einer finalen 1:7-Pleite gegen Stuttgart fehlten in der Endabrechnung (nach der alten Punktevergabe) sieben Zähler auf das rettende Ufer. Die berufliche Doppelbelastung war nach Meinung von Gerhard Kleppinger, der damals am Anfang seiner Karriere stand, aber nicht schuld an der sofortigen Rückkehr in die 2. Liga. In einem Gespräch mit „11Freunde“ sah er den Grund vielmehr in Verletzungen von Leistungsträgern wie Walter Bechthold, Manni Drexler oder Peter Cestonaro.
Ähnlich äußerte sich Uwe Hahn bei „Spiegel Online“. Außerdem seien die Top-Klubs in der Regel besonders motiviert gewesen, meinte der Kunstschütze des Novembers 78: „Sie konnten sich gar nicht erlauben, gegen uns Feierabendprofis zu verlieren.“
Trotzdem gab Darmstadt 98 das Halbtags-Modell auf – und kehrte 1981 in die Beletage zurück. Doch auch diesmal ging es nach nur einer Saison zurück ins Fußball-Unterhaus. Erst von 2015-17 verbrachten die „Lilien“ zwei Jahre in Folge in der höchsten Spielklasse.
Bild: SV Darmstadt 98