Runder Geburtstag eines großen VfLers! Am 20. Januar 1921 wurde Karl-Heinz Gehmlich geboren. Der Mittelläufer absolvierte in den 1940er und 50er Jahren mehr als 200 Pflichtspiele für die Lila-Weißen.

In den 1940er Jahren gehörte der Planitzer SC zu den besten deutschen Fußballvereinen. 1942 zogen die Sachsen in die Endrunde um die Deutsche Meisterschaft ein, sechs Jahre später wurde der Nachfolgeverein SG Planitz nach einem 1:0-Sieg gegen die SG Freiimfelde Halle erster Meister der Ostzone.
Zu diesem Zeitpunkt hatte einer der Leistungsträger allerdings bereits eine neue Heimat gefunden. Karl-Heinz Gehmlich floh (wie sein künftiger Mannschaftskollege Erich Gleixner) 1947 in den Westen und lief im Trikot des VfL Osnabrück zu großer Form auf. In den folgenden neun Jahren bestritt der energiegeladene Mittelläufer 222 Pflichtspiele in der Oberliga Nord, erzielte selbst 12 Tore und stieß gleich zweimal in die Endrunde um die Deutsche Meisterschaft vor.

Der VfL scoutet in Sachsen

Deutschland und Europa lagen in Trümmern, und auch in Osnabrück hatte der Zweite Weltkrieg tiefe Spuren hinterlassen. Im Sport brach ebenfalls eine neue Ära an: Der VfL hieß plötzlich FSV, weil die britische Besatzungsbehörde die alten Vereinsnamen verboten hatte. Dass sich die Lila-Weißen in dieser Situation die Dienste zweier Sachsen sichern konnten, die für namhafte Klubs wie den Planitzer SC (Gehmlich) und den BC Hartha (Gleixner) kickten, war Cheftrainer Kurt Schmitt zu verdanken. Denn Schmitt kam ebenfalls aus Sachsen, hatte sowohl Planitz als auch Hartha trainiert und überredete die beiden Ausnahmefußballer zu einem nicht ganz rechtskonformen Ortswechsel.

So verließ Gehmlich die alte Heimat mit seiner Frau und zwei Kindern, musste aber viele Verwandte und Freunde in Sachsen zurücklassen. In seinem erlernten Beruf als Modelltischler fand er keine Beschäftigung, Profifußballer gab es noch nicht. Sorgen um Unterkunft und Arbeitsplatz prägten deshalb die ersten Jahre.
Doch dann ging es stetig bergauf. 1949 eröffnete Karl-Heinz Gehmlich einen Tabakladen an der Martinistraße, den er 1961 ausbauen konnte. Auch sportlich lief alles nach Wunsch. Der Mann, der seit seiner Jugend für Planitz gespielt und sich in den spannungsgeladenen Duellen gegen den Dresdner SC mit dem späteren Bundestrainer Helmut Schön duelliert hatte, sorgte nun auch im Westen für Schlagzeilen. Das „Sportmagazin“ pries seine „englischen“ Qualitäten, und bei seinem neuen Verein avancierte er zu einer der wichtigsten Spielerpersönlichkeiten.

Oberligaalltag und Kampf um die Deutsche Meisterschaft

Schon der erste Auftritt im damals noch roten Dress der Lila-Weißen sorgte für Schlagzeilen. Mit VfL-Legenden wie Heinz Flotho, Mattes Billen oder Addi Vetter trat Karl-Heinz Gehmlich am 14. Juni 1947 gegen Westfalia Herne an und feierte einen spektakulären Kantersieg (7:0).
Auch in der neu gegründeten Oberliga gelang den Osnabrückern mit dem 4:0 bei Concordia Hamburg ein Einstand nach Maß, der bei Anhängern und Verantwortlichen große Erwartungen weckte. Die Spieler hielten dem Druck stand, etablierten sich über Jahre in der Spitzengruppe der hochkarätig besetzten Oberliga und qualifizierten sich 1950 und 52 für die Endrunde um die Deutsche Meisterschaft.
1952/53 erreichte der VfL noch einmal den 4. Tabellenplatz, doch dann lief bei den Lila-Weißen nicht mehr viel zusammen. Mit den Rängen 12, 9 und 10 blieben sie in den Folgejahren deutlich hinter den eigenen Erwartungen zurück.
Gehmlichs letzter Einsatz für den VfL hatte es allerdings noch einmal in sich. Am 23. Spieltag der Saison 1955/56 kamen nur 4.000 Zuschauer zur Bremer Brücke. Alle anderen verpassten beim Heimspiel gegen den VfB Oldenburg einen Torreigen, wie man ihn nicht jeden Tag geboten bekommt. Der VfL gewann am Ende 4:3, sein unermüdlicher Läufer und beherzter Zweikämpfer siegte im ersten und im letzten Spiel für die Lila-Weißen – und ließ die Karriere anschließend bei den Amateuren ausklingen.

Auswahlmannschaften

Karl-Heinz Gehmlich war schon vor seinem Engagement beim VfL in eine Länderauswahl berufen worden, um Sachsen in den damals beliebten Repräsentativspielen zu vertreten. Nach seiner Flucht in den Westen kam er 25 Mal für die Auswahl Niedersachsens und fünf Mal für die Vertretung Norddeutschlands zum Einsatz. Die silberne Ehrennadel des NFV steckt noch heute mit vielen anderen Auszeichnungen und Andenken in einem Nadelkissen.
Doch im Kreis der Nationalmannschaft tauchte Gehmlich – anders als sein Freund und Kollege Hannes Haferkamp – nicht auf. Trotz der Einladung zu einem Sichtungslehrgang mit Bundestrainer Sepp Herberger. Sohn Volker Gehmlich, der als Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Osnabrück tätig war, hat dafür eine ebenso einleuchtende wie verblüffende Erklärung: „Mein Vater konnte seinen Laden nicht einfach eine Woche zusperren – oder die Arbeit meiner Mutter überlassen. Der Fußball war damals noch kein Geschäft, und der Beruf, mit dem die Spieler ihr Geld verdienten, stand immer an erster Stelle.“
Früher war vieles anders. Und manches möglicherweise leichter und unkomplizierter. So zumindest der Besuch des einen oder anderen HSV-Stars, der nicht von Bodyguards abgeschirmt wurde, um sofort den nächsten Termin zu bestreiten. Heinz Spundflasche oder der „Held von Bern“ Josef Posipal schauten nach dem Spiel einfach mal bei Gehmlichs vorbei, die damals noch in der Kreuzstraße wohnten.

Zurück an der Brücke

Noch mehr Besuch bekam Karl-Heinz Gehmlich mit schöner Regelmäßigkeit am Montagmorgen. „Der Laden war proppenvoll, aber Vater hat nicht viel verkauft. Da wurde die ganze Zeit über die Spiele am Wochenende diskutiert“, erinnert sich Volker Gehmlich, der in der Jugend ebenfalls für den VfL aktiv war.
Doch Hobby und Beruf ließen sich nach der aktiven Laufbahn durchaus verbinden. In den späteren Jahren betreute Karl-Heinz Gehmlich neben dem Geschäft, das er bis 1981 führte, einen Stand mit Tabakwaren bei den Heimspielen an der Bremer Brücke. Hannes Haferkamp bot derweil Süßwaren an. Wie viele VfL-Fans, die sich an der Westkurve mit Zigaretten und Knabbersachen versorgten, ahnten, von wem sie da bedient wurden, ist nicht überliefert.
Gehmlich ging nicht mit seiner VfL-Vergangenheit hausieren, auch wenn er sich gewünscht hätte, dass der Verein zeitweise deutlich mehr Traditionsbewusstsein gezeigt hätte. „Zwischen den ehemaligen Spielern gab es all die Jahre einen regen Austausch. Aber Vater war schon sehr enttäuscht, dass der Kontakt zum Verein immer mehr abbrach. Da kam kein Gruß und keine Karte – nicht einmal zu den runden Geburtstagen“, so Volker Gehmlich.

Doch in den späten 90ern wurde die alte Liebe wieder aufgefrischt. Die neue Vereinsführung hatte mehr Interesse an den lila-weißen Helden früherer Zeiten und so kam es noch zu einigen Treffen mit alten Kollegen und neuen Verantwortungsträgern. Karl-Heinz Gehmlich, der zuletzt bei der Familie des Sohnes in Bramsche lebte, starb im Jahr 2000.

Text: Thorsten Stegemann

Bilder: Privat. In der Bildergalerie sehen wir Karl-Heinz Gehmlich bei den Endrundenspielen um die Deutsche Meisterschaft 1952 (vordere Reihe ganz links), mit Mannschaftskollege Addi Vetter und und einem Reporter sowie auf einem ganz alten Bild im Duell mit Helmut Schön, während Gehmlich für Planitz und Schön für den Dresdner SC spielte. Das Doppel-Porträt zeigt Gehmlich (l.) bei seinem Abschiedsspiel 1956 mit Hannes Haferkamp, der in diesem Jahr ebenfalls seine Karriere beendete und 2021 auch 100 Jahre alt geworden wäre. Sein Brückenschlag folgt am 11. Oktober …