Was verbindet Osnabrück und Duisburg? Beim VfL fallen Fußballfans da natürlich packende Duelle mit den Meidericher Zebras ein. Eine völlig andere, zugleich traurig stimmende Gemeinsamkeit befindet sich auf jeweiligen Bürgersteigen in beiden Städten. Jeweils ein Stolperstein, der an Opfer des Nazi-Regimes erinnert, ist sowohl in Osnabrück als auch in Duisburg derselben Person gewidmet: Lissy Rieke. Wer war diese Frau? Und: Warum erinnern sich in diesem Jahr auch Fußballfans an die tapfere Widerstandskämpferin?
Ein Text von Heiko Schulze
„!Nie wieder“ – ein Beitrag aus Osnabrück
Die letzte Frage soll zuerst beantwortet werden. Die bundesweite Kampagne „!Nie wieder“, angelehnt an den Deutschen Fußballbund und an seine Mitgliedsvereine, hat in den letzten Jahren auch in Osnabrück ein großes Echo gefunden. Erläutern wir vorab, um was es dabei geht.
Die Bezeichnung „!Nie wieder“ rührt aus einer Botschaft von Überlebenden des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau her und beinhaltete den Vorsatz, es nie wieder zuzulassen, dass Faschisten, Nationalisten, Rassisten oder Militaristen Kriege entfachen, Diktaturen errichten und damit ganze Völker ins Unglück stürzen.
Fußballfans aus mehreren Vereinen haben die Losung 2004 aufgegriffen und danach den „Erinnerungstag im deutschen Fußball“ ins Leben gerufen. Jährlich einmal, Anlass ist der Auschwitz-Gedenktag am 27. Januar, sind Einzelpersonen, Fangruppen und Fanprojekte, Vereine, Verbände und Institutionen aus dem Fußball darum bemüht, sich für eine würdige Gedenkkultur einzusetzen und für ein Stadion ohne Diskriminierung zu kämpfen. Die Aktivitäten erstrecken sich über mehrere Wochen und sind in Osnabrück auch in diesem Jahr sehr vielfältig. Folgt man diesem Link, gibt es aktuelle Infos.
Wie Bündnispartner in anderen Städten versucht man seit einigen Jahren auch in Osnabrück, mit klugen, kreativen Aktionen und Veranstaltungen ein unübersehbares Zeichen gegen den alltäglichen und aktuellen Rassismus, gegen Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus zu setzen. Speziell an den Spieltagen rund um den 27. Januar ist in Osnabrück das lila-weiße Bündnis „Tradition lebt von Erinnerung“ darum bemüht, Geschichte aufzuarbeiten und in aktuelle Aktionen umzusetzen. Die Benennung des Felix-Löwenstein-Weges nach einem im KZ umgekommenen VfL-Funktionsträgers, der 2019 dem Bündnis verliehene Julius-Hirsch-Preis des DFB bis hin zu den aktuellen Aktivitäten zur Erforschung und Präsentation der Gartlage als ehemaliger VfL-Spielstätte wie späterem Zwangsarbeitslager unterstreichen überzeugend wie viel beachtet, was in Osnabrück geschieht.
In diesem Jahr hat sich die bundesweite „!Nie wieder“-Kampagne unter anderem das Ziel gesetzt, in besonderer Weise an Frauen im Widerstand zu denken. Vor allem dies ist nun ein besonderer Anlass, etwas über die in Osnabrück wie Duisburg beheimatete Lissy Rieke zu berichten.
Lissy Rieke: Osnabrückerin im Widerstand
Lissy Rieke, Kind einer Osnabrücker Arbeiterfamilie, wird am 18.08.1913 geboren. Schon früh prägt sie ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl. Krieg, Militarismus wie Ausbeutung im Berufsleben sind ihr ein Gräuel. Bereits mit 16 Jahren schließt sich die junge Rieke dem kommunistischen Jugendverband an. Vor allem dessen kulturelle Aktivitäten machen Lissy besondere Freude: Mit Theater- und Gesangsdarbietungen ist sie besonders gern dabei, sobald junge Kommunisten im Stadtbild mit sogenannten Agitations- und Propaganda-Auftritten für ihr Ziel einer klassenlosen Gesellschaft werben. Sie liebt es wie andere, Fahnen und Transparente mit sich zu führen und begeistert gemeinsame Lieder unerschütterlicher Solidarität zu singen. Nicht umsonst zeichnen sich hier, völlig unterschiedliche Inhalte und längst vergangene Zeiten einmal außer Acht gelassen, schon damals gewisse Gemeinsamkeiten mit der heutigen Fankultur ab.
Abbildung 2: Wohnort von Lissy Rieke in der Wiesenbachstraße. Zwei Stolpersteine erinnern dort an sie und ebenfalls an das NS-Opfer Heinrich Hackmann. Foto: Stadt Osnabrück
Die Machtübernahme der Hitler-Regierung am 30. Januar 1933 will Lissy, kaum 20 Jahre alt, von Beginn an nicht widerstandslos hinnehmen. Kurz nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 eskaliert die Situation: Reichsweit erfolgen die ersten Massenverhaftungen. Auch der später im KZ Buchenwald ermordete Vorsitzende der Kommunistischen Partei (KPD), Ernst Thälmann, wird aufgegriffen und verhaftet. In etlichen Staaten wachsen Solidaritätsbewegungen für ihn. Eine besonders aktive gibt es in den Niederlanden.
Osnabrück-Duisburg-Amsterdam
Schon im August 1933 ist Lissy Rieke im Zuge der Widerstandsaktivitäten um die Thälmann-Freilassung nach Amsterdam gezogen, um dort gemeinsam mit Gleichgesinnten gegen die deutschen Nazis zu arbeiten. Bis zum Einmarsch der Wehrmacht im Jahre 1940 ist dies noch gefahrlos zu machen. Danach ist nur noch illegale Arbeit möglich. In Deutschland besitzt Lissy zuletzt eine Adresse in Duisburg.
1942 fällt ihr die Aufgabe zu, von den Niederlanden aus die weitere Verteilung von Flugblättern und weiteren Informationen zu organisieren. Auch insgesamt sollen von ihr die Verbindungen zwischen den einzelnen Widerstandsgruppen in Berlin, Bielefeld, Bottrop, Duisburg, Düsseldorf, Oberhausen, Remscheid, Solingen und Wuppertal gefestigt werden. Sie begibt sich zu diesem Zweck ins Reichsgebiet.
Doch die Gestapo ist ihr schnell auf der Spur. Spitzelwesen und geheimpolizeiliche Ermittlungen führen am 19. Januar 1943 zu ihrer Verhaftung. Alles passiert, als sie nach ihrer Rückkehr von einem Besuch in Osnabrück auf dem Bahnsteig des Duisburger Hauptbahnhofs erkannt und aufgegriffen wird. Womöglich ist sie bereits sie in Osnabrück erkannt und verraten worden.
Ihre Verhöre erstrecken sich über etliche Monate. Verbunden sind sie mit grausamer Folter. Vergeblich versuchen die Nazi-Schergen, von Lissy die Namen anderer Menschen im Widerstand zu erfahren. Sie schweigt trotz aller Repressalien.
Lissy wird fast zwei Jahre lang von der Gestapo gefangen gehalten. Ende 1944 wird sie schließlich ganz offiziell von Staatsanwalt Karl-Hermann Bellwinkel beim Volksgerichtshof angeklagt. Der Vizepräsident des Volksberichtshofes, Wilhelm Crohne, verurteilt sie danach in Bielefeld wegen Wehrkraftzersetzung zum Tode.
Am Morgen des 5. Januar 1945 wird das Urteil in Dortmund vollstreckt. Henkersknechte führen die Kahlgeschorene, barfuß und nur mit einem dünnen Gefängnishemd bekleidet, in den Vollstreckungsraum zu einem brusthohen Brett. Per Lederriemen binden die NS-Schergen ihr Opfer daran fest. Das Brett wird in die Waagerechte gehoben und nach vorne geschoben. Der Nacken wird fixiert. Das Auslösen des Fallbeils ist das letzte Geräusch, das Lissy hört. Sie stirbt im jungen Alter von 31 Jahren.
Erst im Januar 1945 erhält ihr Vater in Osnabrück ein Schreiben des Oberreichsanwalts beim Volksgerichtshof in Berlin. Im bürokratischen Originalton heißt es eiskalt:
„Das Urteil des Volksgerichtshofes vom 17. August 1944 gegen ihre Tochter Luise Johanna Rieke ist am 5. Januar 1945 vollstreckt worden. Die Veröffentlichung einer Todesanzeige ist unzulässig.“
Zumal eine Todesanzeige, wie erklärt, verboten ist, erfahren bis zum Kriegsende nur wenige Freundinnen und Freunde der Osnabrückerin, warum sie nicht mehr lebt und was mit ihr geschehen ist. Aber auch die öffentliche Erinnerung an sie wird in ihrer Heimatstadt erst spät mit konkreten Gedenkformen verbunden.
Immerhin: Nach Lissy Rieke ist in Osnabrück mittlerweile eine Straße benannt. Und sie ist inzwischen, was bei nur ganz wenigen Namen wie im Falle von Felix Nussbaum (hier: Osnabrück und Brüssel) der Fall ist, mit jeweils einem Stolperstein in zwei Städten geehrt worden: Einer befindet sich in der Osnabrücker Wiesenbachstraße, ein zweiter in Duisburg-Neudorf, Waldstraße 141.
Abbildungen 3a und 3b: Stolpersteine in der Wiesenbachstraße und in Duisburg
Wer mehr über Lissy lesen möchte, darf gern hier weiterlesen:
Text: Heiko Schulze
Header-Bild: Lissy Rieke. Fotomontage: Osnabrücker Rundschau