Die Arbeit im Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) des VfL Osnabrück hat in den vergangenen Jahren Früchte getragen. Dies spiegelt unter anderem die zuletzt hohe Durchlässigkeit vom Nachwuchs zum Lizenzbereich wider. Ein Beleg: In der vergangenen Saison 2019/20 standen sieben Spieler im Profikader, die in der eigenen Talentschmiede ausgebildet wurden. Für die Verantwortlichen des NLZ kein Grund sich auf den Erfolgen der Vergangenheit auszuruhen. Im Gegenteil, ein neuer Ausbildungsansatz wurde enzwickelt.
Neben zahlreichen Spielern wie Marc Heider, Sebastian Klaas oder Felix Agu, der in diesem Sommer in die Bundesliga zum SV Werder Bremen gewechselt ist, haben auch Teammanager, Physiotherapeuten und Trainer den Weg vom Junioren- in den Seniorenbereich gemeistert. Joe Enochs, Daniel Thioune oder Merlin Polzin haben ihren Weg als Trainer im Nachwuchs begonnen und sind später ins Trainerteam der Profis gewechselt. Diese Entwicklung soll so weitergehen, wenn es nach Alexander Ukrow und Julia Brinkschröder geht.
Ukrow, Leiter Nachwuchsfußball bei den Lila-Weißen, überprüft mit seinem Team jedes Jahr die gewohnten Ausbildungsansätze: „Regelmäßig setzen wir uns sehr kritisch mit dem Status Quo in sämtlichen Bereichen auseinander. Unsere Philosophie hat sich im Laufe der vergangenen Jahre auch deshalb so erfolgreich entwickelt. Dennoch sehen wir nach wie vor enorm viel Potenzial uns weiterzuentwickeln.“
Parallel zu diesem Prozess der Selbstreflektion entwickelte Julia Brinkschröder einen neuen Ausbildungsansatz, der sich in erster Linie aus ihren Erfahrungen aus der Sichtung von mehr als 20 nationalen und internationalen Leistungszentren im Rahmen ihrer Doktorarbeit herauskristallisiert hat. „Julia ist mit ihren Ideen offene Türen bei uns eingerannt“, so Ukrow. Seit fünf Jahren ist Brinkschröder für das NLZ der Lila-Weißen aktiv: Sie war unter anderem im Trainerteam der U12, der U14 und der U15, ist aktuell Trainerin der U13. Außerdem ist die 32-Jährige pädagogische Leiterin und federführend verantwortlich für die Entwicklung von Mitarbeitern und Spielern. Derzeit promoviert sie zum Thema „Einfluss des Umfelds auf die Leistungsentwicklung von NLZ-Spielern“ an der Universität Bielefeld im Fachbereich Psychologie und Sportwissenschaften. „Bei meiner Recherche habe ich viele Leistungszentren in Deutschland gesehen, durfte mir beispielsweise aber auch Input bei Real Madrid oder dem FC Basel holen. Ich hatte in diesem Zusammenhang einen unheimlich intensiven Austausch mit zahlreichen Trainern, Spielern und dem Stuff hinter den Teams.“ Dabei fiel Brinkschröder immer wieder ins Auge, dass „zu einer optimalen Ausbildung von Spielern und Trainern die Bereiche Psychologie und Pädagogik eine höhere Gewichtung haben sollten“.
Die Basis des spielerorientierten Ausbildungsansatzes ist die Trainerpersönlichkeit. Unabhängig vom individuellen Führungsstil der Coaches sind die folgenden Eigenschaften maßgeblich: Eine positive Grundhaltung, die nicht nach Fehlern sucht, sondern Chancen findet. Eine Wertestabilität und hohe Fachkompetenz. Die Trainer sollen sich selbst reflektieren können und Lust haben, sich persönlich weiterzuentwickeln.
Alexander Ukrow und Julia Brinkschröder
Darauf aufbauend haben die Verantwortlichen des VfL-Nachwuchsleistungszentrums eine neue Methodik eingeführt. Dabei wird vermehrt mit Fragestellungen und den bereits vorhandenen Prinzipien gearbeitet. Gleichzeitig soll sowohl das Spielerhandeln als auch die Autonomie gefördert werden. „Diese Methodik zahlt auf das Beziehungskonto zwischen Trainer und Spieler ein, aber auch auf die Beziehungen unter den Spielern selbst. Je stärker der Umgang von Respekt, Kommunikation und Offenheit geprägt ist, umso stärker ist die jeweilige Bindung zum anderen“, so Julia Brinkschröder. „Das wiederum ist die Basis für die Persönlichkeitsentwicklung der Spieler. Hier geht es darum, Systeme und Identitäten zu schaffen sowie die Widerstandsfähigkeit und Motivation zu fördern.“ Bei der Stufe nach der Persönlichkeitsentwicklung kommt es darauf an, dass Team als solches auf dieser Basis weiterzuentwickeln.
Wie wird dieser theoretische Ausbildungsansatz in der Praxis umgesetzt? Julia Brinkschröder ist verantwortlich für die interne Aus- und Weiterbildung der Trainer, die von dem Ausbildungsansatz überzeugt werden (Stufe 1: Entwicklung der Trainerpersönlichkeiten). In den Trainingseinheiten in den verschiedenen Mannschaften wird inhaltlich weniger korrigiert bzw. vorgegeben. Natürlich werden weiterhin Übungs- und Trainingsformen unterbrochen. Ziel dabei ist allerdings nicht die Vorgabe von Lösungswegen, sondern die gemeinsame Entwicklung von Lösungen durch Fragetechniken (Stufe 2: Methodik). „Nicht wir bestimmen den Weg des Spielers, sondern der Spieler bestimmt selbst seine eigene Entwicklung“, so Brinkschröder. „Dafür brauchen wir Trainerpersönlichkeiten, die in der Lage sind, nicht alles vorzugeben, sondern die Spieler mit einzubeziehen und Fehler zuzulassen. Und die Spieler müssen die ihnen angebotenen Möglichkeiten zur Entwicklung annehmen. Durch die Fragetechniken und die Einbeziehung der Spieler, ist es nicht die Lösung des Trainers. Dadurch hat der Spieler eine deutlich bessere Identifikation mit dem Weg und eine besondere Auseinandersetzung mit dem Fußball.“ Im Idealfall resultiert aus dieser Methodik auch eine neue Kreativität im Spiel, in dem der Trainer auch nicht für jedes Problem eine Lösung im Vorfeld mit auf den Weg geben kann, sondern Spieler selbst gefordert sind in Entscheidungssituationen, Lösungen zu schaffen. Konkret: Die Spieler sollen selbst Probleme erkennen und lösen. Dabei werden sie vom Trainer begleitet. Brinkschröder weiter: „Es gibt weiterhin eine Spielidee, Prinzipien, Vorgaben, eine Grundordnung und einen klaren Rahmen. Aber innerhalb dessen wird den Spielern Autonomie geboten.“
Was im ersten Moment kompliziert klingt, führt im Training zu einer deutlich effektiveren und intensiveren genutzten Zeit. Im Trainingsfokus liegen in erster Linie Spielformen auf Basis der ZEZ-Methode (Zielspiel-Erarbeitungsphase-Zielspiel): In der ersten Phase soll die Trainingsform möglichst einer Spielsituation (Zielspiel) nahkommen. Dabei fungiert der Trainer als Beobachter und lässt den Spielern Raum für Kreativität. Im nächsten Schritt kommt es zur Fragesituation zu einer bestimmten Spielsituation, die dann in die detaillierte Erarbeitungsphase mündet. Das folgende Zielspiel dient dann zur Kontrolle und zur Überprüfung der gemeinsam entwickelten Lösungen.
Und was ist das Ergebnis des spielerorientierten Ausbildungsansatzes? Julia Brinkschröder: „Wir fördern damit grundsätzlich die Persönlichkeitsentwicklung der Spieler. Dadurch können auf der einen Seite mündige und widerstandsfähige Talente im Profibereich ankommen, die lösungsorientiert denken. Gleichzeitig können wir aber auch eine nachhaltige Persönlichkeitsentwicklung außerhalb des Fußballs gewährleisten.“
„Wir sprechen von einem spannenden Prozess. Der Erfolg des Ausbildungsansatzes hängt aber auch maßgeblich davon ab, wie sehr sich die Trainer und die Verantwortlichen im Klub, dieser Entwicklung stellen und sich damit identifizieren. Erfolg lässt sich dabei nicht zwangsläufig an kurzfristigen Ergebnissen messen, sondern in einer nachhaltigen und mittelfristigen Persönlichkeitsentwicklung“, verdeutlicht Alexander Ukrow. „Unsere Trainer und Spieler nehmen neue Ideen unheimlich motiviert auf und versuchen diese schnell und bestmöglich umzusetzen. Insofern bin ich überzeugt davon, dass wir unseren neuen Ausbildungsansatz erfolgreich im Team umsetzen werden.“
Es liegt also eine spannende Zeit vor allen Beteiligten im Nachwuchsleistungszentrum des VfL Osnabrück. Dort, wo man sich nicht auf Erfolgen der Vergangenheit ausruht und Stillstand als Rückschritt versteht. Dort, wo es um viel mehr geht als das nackte Ergebnis an einem Spieltag. Dort, wo aktuell 157 Talente, Kinder, Heranwachsende und junge Erwachsene überwiegend aus der Stadt und dem Landkreis Osnabrück nicht nur auf professionellen Fußball, sondern auch für das gesellschaftliche und berufliche Leben außerhalb des Platzes vorbereitet werden.
Text: Sebastian Rüther
Fotos: VfL Osnabrück