Gerhild Gierschner ist, seitdem sie denken kann, VfL-Fan. Sie ist 91 Jahre jung und beim Heimspiel gegen den SV Elversberg am 15. April war sie erstmals seit 25 Jahren wieder an der Bremer Brücke. Früher war sie regelmäßig zu Gast im Stadion, und sie kam nicht allein. Gerhild Gierschner besuchte in den 1970er Jahren mit Waisen- und Halbwaisenkindern die Heimspiele der Lila-Weißen. Sie sorgte mit ihrem beispiellosen Sinn fürs Gemeinwohl für erfüllte Herzenswünsche und feuchte Kinderaugen. 25 Jahre später kullerten ihr selbst Tränen über die Wange als nicht nur bei der Vereinshymne „Wir sind alle ein Stück VfL Osnabrück“ sämtliche Erinnerungen von damals hochkamen und sie übermannten.
Gerhild Gierschner arbeitete als Erzieherin in einem Kinderheim. So lernte sie auch Helmut Wessling kennen, der ab 1971 als Vize-Schatzmeister beim VfL Osnabrück tätig war und früher selbst im Kinderheim aufwuchs. Er war von der Idee, Waisenkindern den Besuch der VfL-Spiele zu ermöglichen, direkt angetan und sorgte dafür, dass Gerhild Gierschner mit den Kindern im Schlepptau kostenlos die Stadiontore zur Bremer Brücke passieren konnte.
Diese herzzerreißende Geschichte fand durch das Löwenpudel-Kuratorium den Weg in die VfL-Geschäftsstelle. Podologin Anke Busiek kennt Gerhild Gierschner aus dem Altersheim in Lienen, wo die 91-Jährige mittlerweile lebt. Busiek ist Dauerkartenbesitzerin beim VfL und sitzt im Stadion vor Melanie Priesnitz, die dem Löwenpudel-Kuratorium angehört. So bahnte sich die Geschichte seinen Weg und führte zum Stadionbesuch von Tante Gerhild, wie sie seinerzeit liebevoll genannt wurde.
Damit endet die Geschichte aber nicht: Die Fan-Initiative Löwenpudel zeichnet am Ende einer jeden Saison Persönlichkeiten aus, die sich in besonderem Maße für soziale Zwecke eingesetzt haben. In diesem Jahr wurde Gerhild Gierschner beim letzten VfL-Heimspiel gegen Borussia Dortmund II am 27. Mai die Löwenpudel-Trophäe für ihr herausragendes Engagement überreicht – Tränen der Rührung inklusive. Dieser Tag bleibt Tante Gerhild also nicht nur aufgrund des Aufstiegs in die 2. Bundesliga in Erinnerung.
Auch damit endet die Geschichte nicht: Seit der Saison 2021/22 hat der VfL Osnabrück die sogenannten Gemeinwohl-Tickets eingeführt. Basierend auf einer Initiative der VfL-Aktionäre und im zweiten Schritt bei der Finanzierung ergänzt durch Partner der Lila-Weißen wurden seither über 14.000 dieser Eintrittskarten kostenlos unter anderem an soziale Gruppen oder karitative Einrichtungen ausgegeben – quasi als positiver Beitrag für das Gemeinwohl im Lila-Land. Ohne es zu wissen, standen die Aktionäre und Partner somit in der Tradition von Tante Gerhild.
Diese Tradition wird nun auch in der Saison 2023/24 fortgesetzt und ausgedehnt. Dann hat auch jeder Dauerkartenbesitzer die Möglichkeit für einen zusätzlichen Betrag von 30,00 Euro die Gesamtmenge an Gemeinwohl-Tickets um zwei Karten pro Dauerkarte zu erhöhen, so ein Stück weit in die Fußstapfen von Tante Gerhild zu treten und ihr Erbe fortzusetzen. Deshalb wird zur neuen Saison die „Tante Gerhild Gemeinwohldauerkarte“ erhältlich sein und deshalb heißen die besonderen Eintrittskarten ab sofort auch „Tante Gerhild Gemeinwohltickets“. Die Tradition lebt weiter.
Text: Sebastian Rüther
Foto: osnapix